RENAS VERSPRECHEN (German Edition) by Gelissen Rena Kornreich & Heather Dune Macadam
Autor:Gelissen, Rena Kornreich & Heather Dune Macadam [Gelissen, Rena Kornreich]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Estate of Rena Kornreich Gelissen
veröffentlicht: 2012-06-02T22:00:00+00:00
Es ist Sonntag. Ich durchstreife das Lager auf der Suche nach irgendwelchen Leckerbissen oder nützlichen Dingen am Boden.
„Rena!“ jemand ruft mich. Als ich mich umblicke, sehe ich keinen und will schon weitergehen, weil ich denke, der Wind foppt mich.
„Rena.“ Diesmal ist es ein rauhes Flüstern. Ich starre gebannt auf das Skelett, das sich mir durch die Gitterstäbe entgegenstreckt. Dunkel erinnere ich mich an das Gesicht und suche in meinem Gedächtnis nach dem Namen, der zu den gemeisselten Zügen vor mir passt. Es ist Ernas und Felas ältere Schwester.
„Pepka? Bist du’s?“ Ich bemühe mich, mir mein Entsetzen nicht anmerken zu lassen. „Was tust du in Block Fünfundzwanzig?“ Mich schaudert. Block Fünfundzwanzig ist der Ort, den wir um jeden Preis meiden. Keiner, der ihn betritt, kommt lebend wieder heraus. Die Menschen drinnen werden ausgehungert oder ins Gas und dann ins Krematorium gekarrt.
Sie tut sich schwer mit dem Sprechen, doch sie schafft ein Flüstern: „Wasser.“ Ich laufe, um ihr etwas zum Trinken zu holen, und versuche dabei ihr Bild abzuschütteln. Ihr Gesicht ist eingefallen, in ihre Seele eingebrochen. Sie ist ein Schatten, hat nichts Menschliches mehr, ist nicht mehr die Pepka, die ich einmal kannte. Ich wünschte, Erna wäre noch im Lager, sie sollte erfahren, was mit ihrer Schwester ist, aber keiner kann etwas tun.
Ich gebe ihr meinen randvoll gefüllten Becher in die knochige Hand. Sie trinkt gierig, kaum fähig zu schlucken. Als sie ihn mir zurückgibt, zittert ihre Hand. Sie kehrt zurück ins Dunkel, ihre Augen bitten mich, sie zu erlösen; sie schweigt.
Ich kann nichts tun gegen die Wände, die Gitter. Ich habe kein Essen, das ich mit ihr teilen könnte, keine Arznei, ihre Krankheiten zu heilen, keine Möglichkeit, für genügend Wasser zu sorgen, dass sie nie wieder durstig ist, keine Möglichkeit, sie aus dem Block des Todes herauszuholen. Sie ist verdammt, und ich bin hilflos. Pepkas Augen werden zu den Augen meiner Schwester Zosia. Was wäre, wenn Zosia in Block Fünfundzwanzig wäre, würde ihr jemand mir zuliebe Wasser geben? Würde jemand mir sagen, dass sie dort ist? Was ist mit den Kindern? Wenn Zosia in der Hölle war, waren sie dann vielleicht schon tot? Ich wünschte, es gäbe jemanden, diese Last mit mir zu teilen, doch ich muss diese Gedanken schnell auslöschen, ehe sie sich in meinem Kopf niederlassen und mich verrückt machen. Vielleicht sind die Kinder in einem Waisenhaus. Vielleicht schickt uns Zosia ja die Päckchen aus der Schweiz und ist in Sicherheit. Zosia und Mama und Papa werden in Tylicz sein, und wenn alles vorbei ist, werden wir wieder vereint sein. Mein Geist verlangsamt seinen wirbelnden Absturz in die Verzweiflung. Zerbrechliche Hoffnung ersetzt das Verhängnis um mich herum, und das allein zählt.
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